Wenn Prinzipien bröckeln: Deutschlands gefährliche Gewöhnung an die AfD

Bundestag (über Stockdonkey)
Bundestag (über Stockdonkey)

Es ist eine Zahl mit Signalwirkung: Nur noch 49 Prozent der Befragten schließen laut aktueller INSA-Umfrage kategorisch aus, der AfD ihre Stimme zu geben. Einst waren es 75 Prozent. Dieser Rückgang ist kein Zufall – er ist Ausdruck einer politischen Verschiebung, die sich seit Jahren abzeichnet: Die Grenze nach rechts außen wird schmaler, weicher, durchlässiger. Und immer mehr gesellschaftliche Akteure testen, wie weit sie sich annähern können, ohne den eigenen moralischen Kompass offen aufzugeben.

Dass der Verband der Familienunternehmer nun sein Kontaktverbot zur AfD aufhebt, ist ein besonders deutliches Symptom. Jahrzehntelang war es selbstverständlich, dass demokratische Institutionen und Wirtschaftsverbände rechtsextremen Kräften keine Legitimität verschaffen. Jetzt jedoch wird der Handschlag gesucht – mit einer Partei, die in großen Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet wird, die systematisch Ressentiments bedient und deren zentrale Funktionäre offen antidemokratische Positionen vertreten.

Normalisierung als politisches Risiko

Der Schritt der Familienunternehmer ist gefährlich, weil er normalisiert, was nicht normal sein darf. Er signalisiert: Man kann wieder reden. Man kann wieder prüfen. Man kann wieder kooperieren. Genau diese Grauzonen sind das Einfallstor für eine politische Kultur, in der Rechtsextremismus als reguläre Option behandelt wird. Experten ordnen das klar ein: Die AfD war schon früh Ansprechpartner bestimmter Wirtschaftsnetzwerke. Ihre Radikalisierung schob die Kontakte zeitweise in den Hintergrund – aber eben nie aus grundsätzlicher Überzeugung, sondern aus taktischem Kalkül.

Jetzt fällt die taktische Distanz. Und mit ihr wächst der Druck auf andere Verbände und Unternehmen, es ähnlich zu handhaben.

Ökonomische Interessen statt demokratischer Verantwortung

Dahinter steht ein nüchternes, aber problematisches Kalkül: Teile der Wirtschaft erhoffen sich von einer schwarz-blau gestützten Regierung wirtschaftspolitische Geschenke, die SPD und Grüne ihnen nicht machen wollen. Deregulierung, Steuersenkungen für hohe Einkommen, Abbau von Sozialleistungen – all das deckt sich mit dem wirtschaftsliberalen Teil der AfD-Programmatik.

Doch genau hier liegt das politische Gift: Steuer- und Verteilungspolitik ist kein technisches Detail, sondern Ausdruck gesellschaftlicher Prioritäten. Sowohl AfD als auch die Familienunternehmer vertreten in vielen Bereichen die Interessen der Reichsten – zulasten der arbeitenden Mitte. Eine Kooperation würde diesen Kurs politisch absichern und demokratische Grundregeln weiter erodieren.

Die Gefahr liegt nicht nur in der AfD – sondern im Nachgeben

Die zentrale Frage lautet längst nicht mehr, wie gefährlich die AfD ist. Ihre Positionen, ihr Personal, ihre Rhetorik und die Vielzahl extrem rechter Vorfeldakteure sind hinreichend dokumentiert. Die relevante Frage ist: Wie viele gesellschaftliche Institutionen sind bereit, sich trotzdem zu öffnen? Wie viele akzeptieren, dass sich die politische Mitte verschiebt, nur damit ihre eigenen Interessen wieder schneller Gehör finden?

Ein Verbandsbeschluss reicht aus, um zu zeigen, wie brüchig manche Abgrenzungen geworden sind. Demokratie stirbt selten spektakulär. Sie schwindet in kleinen Schritten – in aufgeweichten Tabus, in taktischen Gesprächen, in vermeintlich „pragmatischen“ Öffnungen. Die AfD muss dafür nicht einmal gewinnen. Sie muss nur geduldet werden.

Fazit

Diese Entwicklung ist kein politisches Randphänomen, sondern ein Warnsignal. Wer jetzt Türen für die AfD öffnet, öffnet sie nicht nur für eine Partei, sondern für ein Weltbild, das Demokratie verachtet und gesellschaftliche Minderheiten ins Visier nimmt. Die Verantwortung liegt bei denen, die es besser wissen – und trotzdem nachgeben.

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