Visier runter, Hirn aus: Der Fetisch der gesichtslosen Biker

Junger "Motorradfahrer" (über Evtyshok)
Junger "Motorradfahrer" (über Evtyshok)

Er trägt Jogginghose, Sneaker, vielleicht noch ein Hoodie. Kein Leder, keine Protektoren, keine Spur von Vernunft. Nur der Helm – glänzend, spieglend, anonym. Er zeigt nichts, und genau das ist der Punkt. Denn der junge Motorradfahrer von heute – nennen wir ihn den Digital Rider – fährt nicht, um irgendwo anzukommen. Er fährt, um zu verschwinden. Hinter der getönten Visierwand wird der Mensch zum Mythos, zum Avatar mit Verbrennungsmotor. Das Gesicht? Geheimnisvoll. Die Stimme? Ein dumpfes Röhren. Die Identität? Algorithmisch kuratiert.

Wer glaubt, das sei bloß jugendlicher Leichtsinn, irrt. Es ist eine ästhetische Inszenierung der Macht – ein Fetisch aus Asphalt und Adrenalin. Der Helm ist dabei weniger Schutz als Symbol: Er verbirgt, was unsicher ist, und verstärkt, was stark wirken soll. Ein Accessoire zwischen Pornografie und Performance.

Diese Jungs – meist irgendwo zwischen Fahrschulprüfung und Selbstüberschätzung – wissen genau, was sie tun. Sie ziehen keine Sicherheitskleidung an, weil Verletzlichkeit nicht ins Bild passt. Die Jogginghose ist ihr Statement: bequem, billig, rebellisch. Und der Helm? Ein Spiegel, der zurückstarrt – ohne Augen, ohne Zweifel. Ein moderner Ritterhelm, nur dass der Kampf nicht gegen Drachen geht, sondern gegen die eigene Bedeutungslosigkeit im Feed.

Der Motorradfahrer als TikTok-Fetischist: Er versteckt sich, um gesehen zu werden. Seine Videos sind keine Fahrten – sie sind Beichten. Kurze, sinnliche Geständnisse des Narzissmus. Und während er auf der Landstraße posiert, glaubt er, die Welt läge ihm zu Füßen. In Wahrheit liegt dort nur sein Schatten.

Der Helm als Maske. Die Maschine als Körper. Die Geschwindigkeit als Ersatz für Gefühl. Alles schimmert, nichts schützt. Und irgendwo im Unterbewusstsein wissen sie’s längst: Nicht das Risiko reizt sie – sondern die Verkleidung.

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