Tötung als Lösung? Der Tiergarten Nürnberg offenbart ein Armutszeugnis des Artenschutzes

Pavian (über Kyslynskyy)
Pavian (über Kyslynskyy)

Zwölf Guinea-Paviane – getötet im Namen des Artenschutzes. Was wie ein schlechter Scherz klingt, ist bittere Realität im Tiergarten Nürnberg. Am 29. Juli 2025 wurden drei männliche und neun weibliche Tiere durch Kugelschuss aus dem Leben gerissen. Nicht etwa, weil sie krank waren. Nicht, weil sie aggressiv waren. Sondern weil es „zu viele“ von ihnen gab. Zu viele Lebewesen für eine Anlage, die längst hätte größer gedacht oder anders genutzt werden müssen. Es ist ein Vorgang, der – so sehr er auch mit Behördenschreiben, Entscheidungsbäumen und Zuchtprogrammen ummantelt wird – in seinem Kern eines ist: moralisch zutiefst erschütternd.

Die Verantwortlichen verweisen auf das sogenannte „EEP“ – das Erhaltungszuchtprogramm der Europäischen Zooverbände – und ein faktisches Dilemma: Einerseits müsse man Paviane züchten, um stabile Gruppenstrukturen zu erhalten. Andererseits habe man keinen Platz für den Nachwuchs. Doch wer ein solches System aufbaut, das durch Wachstum an seine Grenzen stößt und dann zur Waffe greift, um „Überbestand“ zu regulieren, sollte sich fragen, ob dieses System nicht grundlegend falsch ist.

Es wird viel von „Verantwortung“ gesprochen. Dass die Entscheidung „niemandem leicht gefallen“ sei. Dass die Tiere „tierschutzkonform“ getötet wurden. Als ob es irgendeine Form der Rechtfertigung gäbe, Tiere zu züchten – um sie dann, wenn sie nicht mehr ins Platzschema passen, gezielt zu erschießen. Und ja, dieser Begriff ist bewusst gewählt: erschießen. Die beschönigende Vokabel „Kugelschuss“ kann nicht kaschieren, was hier geschehen ist. Leben wurde ausgelöscht. Geplant, durchdacht, genehmigt.

Auch der Umgang mit der Öffentlichkeit ist bezeichnend: Die Schließung des gesamten Tiergartens wurde erst am Morgen der Tötung kommuniziert – angeblich aus Sicherheitsgründen. Man befürchtete wohl Protest. Zu Recht. Denn das öffentliche Entsetzen ist groß. Wer Tiere als Mitgeschöpfe begreift, kann nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

Und wer glaubt, dies sei ein einmaliger Vorgang, der irrt. Die Probleme sind strukturell. Der Tiergarten betont, man habe „alle Alternativen geprüft“. Doch gleichzeitig offenbart die Mitteilung ein beredtes Schweigen darüber, warum ernsthafte Kontakte zu anderen Einrichtungen – etwa dem Wales Great Ape and Monkey Sanctuary – scheiterten. Ein Fragebogen wurde dort als „beleidigend“ empfunden. Warum? Was stand drin? Warum war keine Kompromissbereitschaft möglich?

Noch schärfer fällt das Licht auf eine grundsätzliche Debatte: Was bedeutet Artenschutz wirklich? Reicht es, mit Zuchtbüchern und Gehegeplänen zu arbeiten, ohne das Wohl jedes einzelnen Tieres im Blick zu behalten? Ist es akzeptabel, für das große Ziel – den „Erhalt der Art“ – den Tod des Individuums in Kauf zu nehmen, ja sogar aktiv herbeizuführen?

Der Tiergarten Nürnberg mag sich im Rahmen internationaler Programme bewegt haben. Doch moralisches Handeln beginnt nicht mit Paragrafen oder Vereinsregularien – sondern mit einer ethischen Haltung. Und die scheint in diesem Fall auf der Strecke geblieben zu sein. Diese Tötungen waren kein Triumph des Artenschutzes. Sie sind ein Skandal. Ein bitterer Beweis dafür, wie sehr sich Teile der Zookultur von den Grundwerten eines respektvollen Umgangs mit Leben entfernt haben.

Wenn der Erhalt einer Art bedeutet, gesunde Tiere zu töten, läuft etwas grundsätzlich falsch. Das Töten der Paviane im Tiergarten Nürnberg mag formal korrekt gewesen sein – ethisch ist es nicht zu rechtfertigen. Wer so handelt, stellt nicht den Artenschutz in den Mittelpunkt, sondern ein System, das sich selbst zur Legitimation wird. Das sollten wir uns nicht länger schönreden. Sondern laut hinterfragen.

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