
Zu oft setzen wir im Straßenverkehr auf den perfekten Klang – und riskieren dabei unser Leben. Ob beim Spaziergang, beim Radeln oder auf dem E-Scooter: Kopfhörer und Ohrstöpsel sind mittlerweile allgegenwärtig. Die Musik gibt den Takt vor, die Welt um uns herum tritt in den Hintergrund. Doch dieser vermeintliche Luxus kann teuer erkauft werden.
Untersuchungen belegen, dass laute Musik und Noise-Cancelling-Funktionen die Reaktionszeiten deutlich verlängern. DEKRA-Unfallforscher Denis Preissner warnt: Wer sich bewusst oder unbewusst von seiner Umwelt abkapselt, unterschätzt die Gefahren im Verkehr. Ein tragischer Fall Anfang Mai nahe München macht das schmerzhaft deutlich: Ein 23-Jähriger wurde von einer herannahenden S-Bahn erfasst, weil er die Warnsignale nicht hörte. Ein Einzelfall? Keineswegs.
Der Klang der Umwelt ist überlebenswichtig. Hupende Autos, klingelnde Straßenbahnen, mahnende Warnrufe von Radfahrern – sie alle können uns Leben retten. Blenden wir diese Geräusche mit dröhnenden Bässen aus, sind wir allenfalls Statisten im eigenen Drama: Wir sehen vielleicht die Straße, aber wir hören nicht die Gefahr. Und wenn wir beim Telefonieren oder Podcast-Hören durch die Stöpsel noch weniger wahrnehmen, wird es erst recht brenzlig. Ein Test des „Instituts für Arbeit und Gesundheit“ der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung zeigt: Selbst leise Musik verlangsamt die Reaktion auf Sirenen und Hupen um bis zu 50 Prozent.
Verkehr in den Städten wird leiser – dank E-Autos und vermehrtem Radverkehr. Das ist für die Lebensqualität eine gute Nachricht. Für Fußgänger jedoch birgt die Ruhe ein neues Risiko: Radfahrer und E-Scooter-Fahrer sind kaum noch zu hören. Wer hier vollgefiltert unterwegs ist, verschenkt sein Gehörorgan – und damit seine letzten Sekunden, um auszuweichen.
Rechtlich gesehen erlaubt die Straßenverkehrsordnung zwar das Tragen von Kopfhörern, doch sie schreibt auch vor: Wer ein Fahrzeug führt, ist dafür verantwortlich, dass sein Gehör nicht beeinträchtigt wird. Wenn laute Musik die Sirene der Feuerwehr übertönt, ist man in der Pflicht, die Lautstärke zu senken. In Frankreich oder Spanien drohen selbst Radfahrern und E-Scooter-Fahrern Strafen, wenn sie mit Knopf im Ohr erwischt werden. Bei uns fehlt bislang jedoch diese Entschlossenheit. Doch das allein ändert nichts an der Tatsache: Aufmerksamkeit ist der einzige Schutz.
Preissners Rat sollte zur Maxime werden: Smartphone beiseite, Stöpsel raus – zumindest beim Überqueren von Straßen oder im dichten Stadtverkehr. Wer nicht verzichten möchte, nutzt besser nur einen Ohrhörer und dreht die Lautstärke herunter. So bleibt das Hörvermögen offen für das, was wirklich zählt: das Signal, das uns vor Gefahr warnt. Aufmerksamkeit ist durch keine technische Spielerei zu ersetzen – sie ist unser wichtigster Partner im Straßenverkehr.

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