Rock im Park: Wie der Beat uns mit voller Wucht ins Gesicht schlägt

Rock im Park 2019 (über Daniel Dostal)
Rock im Park 2019 (über Daniel Dostal)

Wenn jedes Jahr im Frühsommer die Gitarrenriffs über das Zeppelinfeld donnern und rund 70.000 Musikbegeisterte nach Nürnberg pilgern, jubeln Fans und Stadtobere gleichermaßen – doch wer genau hinhört, entdeckt, dass der Klang des Festivals längst zum zweischneidigen Schwert geworden ist.

„Rock im Park“ steht sinnbildlich für die Großevents, die einerseits der Region einen wirtschaftlichen Kick verleihen, andererseits aber unsere Umwelt, unsere Nerven und unser soziales Gefüge strapazieren. Bevor wir uns weiter in Euphorie wiegen, sollten wir uns fragen: Braucht Nürnberg wirklich noch mehr solcher Großevents – und sollte „Rock im Park“ nicht ein mahnendes Beispiel sein?

Und wer zahlt den Preis?

Sicherheitsdienste, Polizei und Ordnungsamt stemmen ihre Einsätze bei „Rock im Park“ und anderen Großveranstaltungen – und wer muss letztlich zahlen? Der Steuerzahler. Für Straßenbau, -sanierung und Verkehrslenkung werden Millionen investiert, weil tausende Festivalbesucher per Pkw und Bus anreisen und die Infrastruktur ins Stottern bringen.

Die Folge: Schlaglöcher in Wohngebieten, verstopfte Zufahrtsstraßen und Anwohner, die für klamme Stadtkassen den Preis in Stress und Zeitverlust bezahlen.

Mit wummernden Bässen gegen die Nachtruhe

Während „Rock im Park“ tagsüber als großes Open-Air-Festival gefeiert wird, hören die Anwohner erst abends die volle Lautstärke – denn die Konzerte laufen bis 1 Uhr nachts. Wenn die Hauptacts um diese Zeit ihre Sets beenden, drehen die Basslautsprecher noch einmal richtig auf.

Für 2022 hatte die Stadt Nürnberg festgelegt, dass der Schall bis 23 Uhr maximal 60 dB(A) und danach bis 1 Uhr höchstens 55 dB(A) erreichen darf. Doch selbst bei diesen Grenzwerten vibrieren Wohnungen in vielen Stadtteilen noch immer, weil Wind und Wetter den Schall zusätzlich verstärken.

Ein unabhängiger Lärmgutachter misst dann genau jeden Dezibel – trotzdem rufen Anwohner ständig das Ordnungsamt an, weil sie um ihren Schlaf und ihre Gesundheit fürchten. Zwar zahlen Veranstalter bei Überschreitungen Bußgelder, doch die psychischen und körperlichen Folgen wie Schlafstörungen, Stress und Nervosität bleiben bei den Betroffenen.

Ökologischer Rausch mit bitterem Beigeschmack

Eventmanager predigen gerne von Nachhaltigkeit, doch bei „Rock im Park“ ist das nichts als gekünsteltes Greenwashing. Tatsächlich entfallen schätzungsweise 45 Prozent der Emissionen allein auf den Verkehr – also Autobahnstaus voller SUVs und Shuttle-Busse. Stromfressende Bühnentechnik noch nicht berücksichtigt. Weitere 30 Prozent entstehen, weil Besucher in überteuerten Hotels nächtigen. Anders gesagt: Jeder Billigflug, jede Tramfahrt zum Festivalgelände und jeder vermeintlich „komfortable“ Hotelaufenthalt häufen einen CO₂-Berg an, den wir alle erst Jahre später irgendwie wieder einfangen müssen.

Soziale Ungleichheit in der Stadt

Nicht nur die Lärm- und Umweltbelastung, auch der soziale Riss wird bei Großevents sichtbar. Wenn „Rock im Park“ Besucherströme von 70.000 Personen zum Zeppelinfeld zieht, steigen die Hotelpreise in der gesamten Stadt rapide an. Gleichzeitig profitieren große Hotelketten und Airbnb-Vermieter von einem kurzfristigen Preissprung, während kleine, traditionelle Pensionen häufig nicht mithalten können und schrittweise aus dem Markt gedrängt werden.

Dieser Tribut, den die Anwohner zahlen, ist nicht nur finanziell: Der Alltag in gewohntem Umfeld wird gestört, weil beliebte Cafés und lokales Gewerbe ihre Öffnungszeiten an das Festivalpublikum anpassen müssen. Wer also an einem gewöhnlichen Samstag einen Kaffee trinken oder dringend Lebensmittel besorgen möchte, erlebt eine Stadt, die sich zeitweise nur noch um die Bedürfnisse von Gästegruppen dreht, die hier selten länger als vier Tage bleiben – zum Preis einer Stadt, die für alle lebenswert sein sollte.

Überlastete Verkehrsnetze

Wenn „Rock im Park“ bevorsteht, sind Verkehrsplaner schon Wochen vorher in Alarmbereitschaft. Die Zufahrtsstraßen und Autobahnanschlüsse rund um Nürnberg, zum Beispiel bei Nürnberg-Ost, kommen durch den zusätzlichen Verkehr schnell an ihre Grenze. Schon ein kleiner Zwischenfall wie ein Unfall oder eine Panne kann einen kilometerlangen Stau auslösen und den Alltag zum Hindernislauf machen.

Auch der öffentliche Nahverkehr gerät an seine Kapazitätsgrenzen, weil zu den Stoßzeiten extra Busse und Sonderzüge eingesetzt werden müssen. Diese Mehrkosten werden nicht komplett durch Ticketverkäufe gedeckt. Am Ende fließt Geld, das eigentlich für den Ausbau des Netzes gebraucht würde, direkt in den Festivalbetrieb.

Ein dreitägiges Festival – hunderte Tausend Liter Ressourcen

„Rock im Park“ beansprucht nicht nur Lärmpegel, sondern auch Wasser, Strom und Personalressourcen. Für die Bühnenbeleuchtung, Soundchecks und Klimatisierung der Technikzelte werden während eines einzigen Wochenendes mehrere Hunderttausend Kilowattstunden verbraucht, die, so muss man es klar aussprechen, kaum restlos regenerativ sein können.

Bioplastik-Becher und ausgefeilte Recycling-Konzepte wollen den Eindruck vermitteln, alles sei „grün“, doch Verpackungsabfälle – von Essenständen bis zu Merchandise – pulverisieren jeden guten Vorsatz. Wenn wir bedenken, dass Umwelt- und Klimaschutz für viele Nürnberger Bürger zu den fünf wichtigsten Anliegen zählen, steht ein imposantes Festival in krassem Widerspruch zum tatsächlichen Umweltbewusstsein in unserer Stadt.

Ist die Magie des Rock wertvoller als die Lebensqualität der Anwohner?

Festivals wie „Rock im Park“ schenken uns Adrenalin, musikalische Entdeckungen und das Gefühl, Teil eines großen Ganzen zu sein. Doch jedes Konzert, jeder Ton ist auch eine Abwägung: Wie viel Lebensqualität, wie viel Ruhe und wie viel Umweltschutz sind wir bereit aufzugeben, damit 70.000 Besucher an einem Wochenende ekstatisch „Smoke on the Water“ mitgrölen?

Für die Anwohner ist der Ärger vorprogrammiert: Gewohnte Grünflächen sind mit Absperrbändern und Zäunen unzugänglich, Parkverbote und Straßensperrungen erschweren den Alltag, und nach dem Festival türmen sich Berge von Müll, sodass das Gelände rund um den Dutzendteich noch tagelang aussieht wie eine riesige Müllkippe.

Fazit: Mehr lokale kleinere Veranstaltungen statt endloser Großevents

Nürnberg darf nicht blind dem Versprechen folgen, durch immer mehr Großevents die Wirtschaft anzukurbeln, ohne die ökologischen, sozialen und lebensqualitativen Folgen zu bedenken. Viel sinnvoller wäre es, kleinere Formate zu fördern – etwa ein Bürgerfest in St. Johannis oder ein umweltfreundliches Straßenkunstfestival in Gostenhof. Dort bleiben die Einnahmen bei den lokalen Betrieben, der CO₂-Fußabdruck ist überschaubar, und Anwohner müssen keine Dauerbeschallung ertragen. Es gilt nicht „Je größer, desto besser“. Wer die Lebensqualität in unserer Stadt wirklich wertschätzt, sollte darauf achten, dass Raum für ganz unterschiedliche Freizeitwünsche erhalten bleibt.

„Rock im Park“ soll man feiern – doch nicht, ohne die Begleitkosten zu benennen. Wenn wir weiterhin direkt über den Köpfen derer hinweg trommeln, die tagtäglich in Nürnberg wohnen, arbeiten und leben, verwandelt sich die einstige „Lebenswelt der Frankenmetropole“ in eine Event-Arena, in der Anwohner zum Kollateralschaden degradiert werden.

Wir brauchen nicht mehr Megabühnen, sondern mehr Rückzugsräume; nicht mehr abendfüllenden E-Gitarre-Sound, sondern Nachbarschaftskultur mit Weitsicht. Wenn Nürnberg wirklich lebenswert bleiben will, muss „Rock im Park“ zur Mahnung werden: Die Schlagzahl an Großevents ist nicht gleichbedeutend mit Fortschritt, sondern oft genug ein teurer Rückschritt für Umwelt, Geldbeutel und soziale Kohäsion. Ehren wir den Rock – doch bewahren wir gleichzeitig unsere Stadt vor ihrem eigenen Echo.

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