
Kantinen waren lange Zeit das kulinarische Pflichtprogramm zwischen Schreibtisch und Besprechung. Doch ein Blick in die aktuelle Entwicklung zeigt: Die Gemeinschaftsgastronomie (GV) in Deutschland hat sich nicht nur erholt, sie wandelt sich gerade grundlegend – hin zu einem sozialen, wirtschaftlichen und ernährungspolitischen Schwergewicht.
Rückkehr der Gäste: Kantinen boomen wieder
Nach dem coronabedingten Einbruch erlebt die Betriebsgastronomie ein starkes Comeback. Im Jahr 2023 verzeichneten die 30 größten unternehmenseigenen Cateringbetriebe über 45 Millionen Gäste – ein Anstieg um rund 36 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. BMW führte mit 8,1 Millionen Besuchern das Ranking an, gefolgt von Mercedes-Benz und Volkswagen. Die Zahlen belegen: Trotz Homeoffice und flexibler Arbeitsmodelle strömen die Beschäftigten wieder in ihre Kantinen.
Und das aus gutem Grund. Denn moderne Kantinen sind längst mehr als reine Essensausgabestellen: Sie werden zunehmend zu sozialen Treffpunkten im Arbeitsalltag – Orte für Austausch, Begegnung und kurze Auszeiten.
Ein unterschätzter Riese mit Milliardenumsatz
Mit einem Jahresumsatz von 16,8 Milliarden Euro im Jahr 2024 ist die Gemeinschaftsgastronomie ein wirtschaftlicher Gigant. Rund 20 Prozent des gesamten Außer-Haus-Verpflegungsmarktes entfallen auf sie. Dabei reicht ihr Wirkungskreis weit über Betriebe hinaus – auch Mensen, Pflegeeinrichtungen, Schulen und Kitas gehören zum GV-Kosmos.
Täglich versorgt dieser Sektor rund 17 Millionen Menschen – ein logistisches und organisatorisches Kraftpaket, das still und effizient im Hintergrund arbeitet. Doch bei allen Erfolgen steht die Branche unter enormem Druck.
Herausforderungen: Kostenexplosion und Personalmangel
Inflation, steigende Lebensmittelpreise und explodierende Energiekosten stellen die Gemeinschaftsgastronomie vor große wirtschaftliche Hürden. Hinzu kommt die Rückkehr zur vollen Umsatzsteuer von 19 Prozent seit Anfang 2024 – besonders problematisch für Caterer im Bildungsbereich. Hoffnung gibt ein möglicher Steuererlass ab 2026, der die Belastung senken könnte.
Parallel dazu leidet die Branche unter einem akuten Fachkräftemangel. Die Zahl der neuen Ausbildungsverträge im Kochberuf ist seit 2003 um 55 Prozent zurückgegangen. Und offene Stellen bleiben immer länger unbesetzt. Für Experten ist klar: Eine aktivere Zuwanderungspolitik, wie sie etwa Österreich verfolgt, könnte hier helfen – etwa durch vereinfachte Anerkennungsverfahren und berufsorientierte Sprachförderung.
Smarte Technik gegen Personallücken und Food Waste
Doch die Branche setzt nicht nur auf Menschen, sondern auch auf Maschinen. Digitalisierung, Robotik und Künstliche Intelligenz gelten als Schlüsseltechnologien der Zukunft. Kochroboter, die bis zu 150 Gerichte pro Stunde zubereiten, könnten nicht nur Effizienz steigern, sondern auch Fachkräfte entlasten.
Ein weiteres zentrales Thema ist die Reduzierung von Lebensmittelverschwendung. Rund zwei Millionen Tonnen Essensreste fallen jährlich in der Außer-Haus-Verpflegung an. Studien sehen hier ein Einsparpotenzial von bis zu 50 Prozent – auch mithilfe smarter Tools zur Mengenplanung und Resteverwertung.
Vegetarisch, vegan, verantwortungsvoll
Die Gemeinschaftsgastronomie ist zudem ein Treiber für gesündere und nachhaltigere Ernährung. Inzwischen bieten neun von zehn Caterern täglich vegetarische Menüs an. Besonders in Hochschulmensen hat sich dieser Trend bereits etabliert: Beim Studierendenwerk Karlsruhe sind 70 Prozent der Speisen vegetarisch oder vegan.
Damit spielt die GV eine zentrale Rolle in der ernährungspolitischen Transformation Deutschlands – mit großem Hebel auf das Essverhalten breiter Bevölkerungsschichten.
Fazit: Die neue Kantine ist ein Sozialraum mit Systemrelevanz
Was früher oft als Kantinen-Klischee galt, entwickelt sich heute zur Schlüsselbranche mit Zukunft: sozial, wirtschaftlich bedeutend und ernährungsstrategisch unverzichtbar. Ob als Begegnungsort im Betrieb, als Mittagsversorger in der Schule oder als nachhaltiger Vorreiter – die Gemeinschaftsgastronomie hat das Zeug dazu, einer der stillen Stars der gesellschaftlichen Transformation zu werden.
Und vielleicht lohnt sich bald der Blick auf den Speiseplan mehr denn je. Nicht nur wegen des Essens – sondern wegen dessen, was dahinter steckt.
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