Das Kalkül der Quoten schlägt den Mut zur Qualität – RTL Direkt wird abgesetzt!

Pinar Atalay (über RTL / Andreas Friese)
Pinar Atalay (über RTL / Andreas Friese)

Der Kölner Privatsender RTL zieht seiner Spät-Nachrichten-Sendung „RTL Direkt“ nach vier Jahren den Stecker – und offenbart damit ein Kalkül, das auf kurzfristige Quote zielt statt auf langfristige Glaubwürdigkeit. Ab dem 23. Juli 2025 wird die Primetime des Senders ohne das junge, dynamische News-Format auskommen müssen.

Eine Entscheidung, die eins klar zeigt: RTL hat keinen „Mum in den Knochen“, wenn es darum geht, den eigenen journalistischen Ambitionen auch Gewicht zu verleihen.

Quoten statt Profil

In der Begründung von Inga Leschek, Chief Content Officer bei RTL Deutschland, klingt alles vernünftig: Man müsse heute „Umschaltpunkte“ minimieren, um Zuschauer in der Primetime zu halten, und Ressourcen bündeln, um im Live-Geschäft gegen ARD und ZDF bestehen zu können. Doch hinter diesem Schlagwort­korsett verbirgt sich das Eingeständnis eines Senders, der sein Nachrichtenprofil lieber dem Quotenbarometer unterwirft, als es mutig auszubauen.

Tatsächlich hinkt „RTL Direkt“ im linearen Vergleich deutlich hinterher: Marktanteile von deutlich unter fünf Prozent in der Zielgruppe sind ein Armutszeugnis für ein Nachrichten­format in der Hauptsendezeit. Doch gerade hier liegt die Chance: Die ARD-„Tagesthemen“ zeigen mit stabilen Werten um sieben Prozent in der Zielgruppe, dass sich Qualität und Haltung lohnen. Wer einen Abend lang gute Recherche, klare Analysen und eine unverwechselbare Redaktion präsentiert, bindet sein Publikum – selbst im Free-TV.

Fehlender Mut, fehlende Haltung

Stattdessen lautet bei RTL die Devise: Wer nicht wächst, wird gestrichen. Wer es wagt, abseits des reinen Entertainment-Wettlaufs den Journalismus ernst zu nehmen, fliegt raus. Das ist ironisch, weil RTL gleichzeitig in Pressemitteilungen betont, wie sehr News „elementar“ für den Sendererfolg seien. Doch statt zu investieren, wird rationalisiert – aus Angst vor kurzfristigen Verlusten.

Dieser Mangel an Haltung zeigt sich auch in der Personalpolitik: Pinar Atalay, als erfahrene Journalistin das Aushängeschild von „RTL Aktuell“, darf bleiben und soll künftig Talks bei ntv moderieren. Aber ihr eigenes, junges Nachrichten­format, in das RTL mutig investiert hatte, muss weichen. Das sendet ein fatales Signal: Wir schätzen dich, aber wir trauen dir keinen Rückhalt im kritischen Kernbereich zu.

Ein falsches Signal an das Publikum

In einer Zeit, in der das Vertrauen in Medien sinkt und der Ruf nach glaubwürdiger Information lauter wird, agiert RTL wie ein Purzelbaum­künstler auf dünnem Eis. Zuschauer, die sich ernst genommen fühlen möchten, blicken bereits zu den öffentlich-rechtlichen Newsformaten und digitalen Angeboten. Sie erwarten keine effizienzgetrimmten Nachrichtenhäppchen, sondern sorgfältig aufbereitete Hintergründe und verlässliche Kommentare.

Die Quotenlogik mag den kurzfristigen Blick auf die Primetime-Zahlen bedienen, aber sie verpasst das große Bild: Ein News­unternehmen, das sein Profil nicht schärft, verliert seine Daseinsberechtigung. Wer sich nur um „Wettkampf um Aufmerksamkeit“ sorgt, vergisst das eigentliche Geschäft – die glaubwürdige Vermittlung von Fakten und die Einordnung komplexer Zusammenhänge.

Perspektive: Mut zu Innovation und Qualität

Natürlich ist die Nachrichtenwelt im Umbruch: Streaming, soziale Medien und individualisierte Newsfeeds verändern das Nutzungsverhalten. Doch statt auf das altbewährte Mittel des Streichens zu setzen, bräuchte es bei RTL ein echtes Innovations­labor für Journalismus. Investigative Formate, daten­journalistische Specials oder crossmediale Konzepte könnten das Profil schärfen und neue Zielgruppen erschließen. RTL sollte hier nicht nur sporadisch zuschlagen, sondern ein eigenes, unverwechselbares Format entwickeln, das Nachrichtenkompetenz mit moderner Erzählweise verbindet.

Die Absetzung von „RTL Direkt“ ist kein strategischer Befreiungsschlag, sondern ein Rückschritt. RTL kapituliert vor den Quoten und verpasst die Chance, im Nachrichtenbereich ein echtes Profil zu entwickeln. Anstatt mutige Investitionen in Qualität zu wagen, setzt man auf die vermeintliche Sicherheit von optimierten Sendeabläufen. Doch Journalismus braucht Mut – und RTL zeigt hier klar: Das ist nicht sein Ding. Wer sein Publikum ernst nimmt, wird über die Quote hinaus geschätzt. Und genau dort versagt dieser Schritt.

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